Kein Ende des Konflikts zwischen der melanesischen Bevölkerung und Jakarta in Sicht

Die Ureinwohner des indonesischen Teils von Papua haben bisher ohne Erfolg mehr Rechte gefordert. (Bild: Reuters)  Fotoquelle: nzz.ch
Die Ureinwohner des indonesischen Teils von Papua haben bisher ohne Erfolg mehr Rechte gefordert. (Bild: Reuters) Fotoquelle: nzz.ch
Die Ureinwohner von Papua haben den Kampf für ihre Unabhängigkeit wiederaufgenommen. Im Juli sind Zehntausende dafür auf die Strasse gegangen. Doch Jakarta denkt nicht daran, seine Schatzkammer mit der grössten Goldmine der Welt aufzugeben.

Nicole Meier, Jakarta

Mit «Alhamdulillah!» (Gelobt sei Gott) hat der indonesische Präsident Susilo Bambang Yudhoyono seine Rede begonnen. Er freue sich auf die verstärkte Zusammenarbeit seines Landes mit der Schweiz. Yudhoyono stand an einem kleinen Rednerpult in seinem Palast – zu seiner Rechten Bundespräsidentin Doris Leuthard und einen Kronleuchter entfernt eine Schar indonesischer sowie eine Handvoll Schweizer Journalisten. Leuthard ihrerseits lobte den ersten vom Volk direkt gewählten Präsidenten des Staates mit der grössten muslimischen Bevölkerung der Welt dafür, dass er Indonesien zu mehr Frieden und mehr Stabilität geführt habe.

Erzwungener Anschluss

Das war am 7. Juli. Nur einen Tag nach dem Staatsbesuch geschah etwas, was nicht ins Bild des Staates passt, der sich dem Westen gerne als stabile Demokratie und lukrativen Handelspartner präsentiert. In Papua, der östlichsten Provinz des Archipels, gingen Tausende von Ureinwohnern auf die Strasse. Sie protestierten gegen die Sonderautonomie, die ihnen die Regierung in Jakarta 2001 gegeben hatte. Diese Autonomie habe versagt und ihnen keine besseren Lebensbedingungen gebracht, kritisierten sie. Die Menschenmenge besetzte das Gelände des Provinzparlaments in Papuas Hauptstadt Jayapura und forderte einen Dialog über den Status Papuas unter internationaler Mediation – und letztlich die Unabhängigkeit von Indonesien.

Die melanesischen (dunkelhäutigen) Ureinwohner Papuas fühlen sich von Jakarta geknechtet und um ihre Rechte betrogen. Dieses Gefühl wurzelt im Jahr 1969, das bei den Ureinwohnern ein kollektives Trauma hinterlassen hat. In der sogenannten Act of free choice sollten sie über die Zukunft der ehemaligen niederländischen Kolonie bestimmen. Das Resultat war deutlich und stellte Papua unter indonesische Herrschaft. Doch der Entscheid war alles andere als frei: Laut Kritikern wurden die 1000 handverlesenen Wahlmänner bestochen und bedroht. Die Uno anerkannte das Resultat gleichwohl.

Seither ist Papua nie zur Ruhe gekommen. Seit Jahren herrscht ein undurchsichtiger Konflikt um die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die Einwanderung von Indonesiern aus anderen Landesteilen und die Frage der Unabhängigkeit. Zehntausende von Papua sind dabei gewaltsam ums Leben gekommen. Polizei und Militär sind stark präsent, für Menschenrechtsverletzungen berüchtigt, und sie operieren im Vergleich zu anderen Landesteilen weitgehend unkontrolliert.

Abseits der Weltöffentlichkeit

Indonesien hat nicht das geringste Interesse daran, Papua aufzugeben: Es würde seine Schatzkammer verlieren und die nationale Einheit preisgeben. Auf die Bedrohung seiner territorialen Einheit reagiert das Land noch sensibler, seit Osttimor 2002 nach militärischer Intervention durch Australien unabhängig wurde, eine Schmach sondergleichen. Deshalb – und weil der Papua-Konflikt nicht ins Bild der modernen Demokratie passt, das Jakarta gerne zeichnet – sollen möglichst keine Informationen über den Konflikt nach aussen gelangen. So verwehrt Indonesien westlichen Journalisten seit Jahren konsequent den Zugang zur Insel. Medienschaffende, die mit einem Touristenvisum einreisen, werden umgehend deportiert. Der jüngste Fall betrifft zwei französische TV-Journalisten, die Ende Mai einen Dokumentarfilm drehen wollten.

Für Einheimische kann Hartnäckigkeit mitunter tödlich enden. Am 30. Juli wurde in Merauke im Südosten Papuas die Leiche eines Journalisten des lokalen TV-Senders entdeckt. Er lag nackt und gefesselt in einem Fluss. Wer hinter der Tat steckt, ist unklar. Doch Journalisten- und Nichtregierungsorganisationen vermuten den Grund für seinen Tod in seinen Recherchen zu einem riesigen Projekt für eine Palmölplantage.

Auch für internationale Organisationen ist Papua ein hartes Pflaster. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) musste im April auf Befehl des Aussenministeriums sein Büro in Jayapura schliessen. Dass die IKRK-Delegierten Häftlinge besuchten, die Indonesien für Separatisten hält, wurde nicht länger goutiert. Auch Organisationen wie Human Rights Watch dürfen nicht in Papua arbeiten.

Willkür und Bespitzelung

Seit 2004 vor Ort ist Peace Brigades International (PBI) – eine Organisation, die unbewaffnete Schutzbegleitungen für bedrohte Menschenrechtsverteidiger und Friedenserziehung anbietet. Obwohl PBI keine Berichte verfasst und Menschenrechtsverletzungen nicht öffentlich anprangert, sind auch ihre Freiwilligen vor Willkür und Einschüchterungsversuchen nicht geschützt. Nutzen sie ihren Spielraum in den Augen der Sicherheitskräfte zu stark aus, wird die bürokratische Schraube angezogen: Plötzlich gilt beispielsweise die Reiseerlaubnis nur noch für eine Woche statt für einen Monat, was eine Organisation de facto lahmlegt.

Bespitzelungen durch Geheimdienstler der verschiedenen Polizei- und Militäreinheiten sind an der Tagesordnung. Und es kann vorkommen, dass eines Morgens unangemeldet der Geheimdienstchef der Polizei vor der Tür steht und verkündet: Die Volontäre haben den falschen Visumstyp, damit dürfen sie hier nicht arbeiten. Um solche Attacken zu parieren, dazu braucht es viel Verhandlungsgeschick und die richtigen Kontakte.

Alle gegen die Grasberg-Mine

Der Stein des Anstosses in der Unruheprovinz schlechthin ist die Freeport-Mine. Von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen, betreibt das amerikanische Bergbauunternehmen Freeport-McMoRan in Papua die grösste Gold- und drittgrösste Kupfermine der Welt, die Grasberg-Mine. Freeport gilt als der grösste Steuerzahler Indonesiens, und die Ureinwohner beklagen, dass sie von diesem Reichtum nichts sehen. Auch anderen ist die Mine ein Dorn im Auge: Die separatistische Organisation Freies Papua (OPM) betrachtet sie als Symbol der Vorherrschaft Jakartas, und Nichtregierungsorganisationen prangern Freeport an, Gesetze zu missachten und Seen und Flüsse zu verschmutzen.

Die Mondlandschaft, die sich dem Betrachter beim Landeanflug auf Timika unweit der Mine zeigt, spottet in der Tat jeder Beschreibung. Ausser grauem Schlamm ist nichts zu sehen, soweit das Auge reicht. Laut Schätzungen spült Freeport täglich rund 115 000 Tonnen Abraum der Mine in die Flüsse. Das Bergwerk selbst ist Sperrgebiet und wird vom Militär strengstens bewacht.

Die Mine zu besichtigen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Am dichtesten heran kommt man über Google Earth. Wer um ein Treffen mit Freeport-Verantwortlichen ersucht, wird von freundlichen jungen Amerikanerinnen im Hotel Sheraton in Timika empfangen – und in einem klimatisierten Konferenzraum mit Powerpoint-Präsentationen über Freeports Sozialprogramme abgespeist.

Fahnenhissen als Hochverrat

Das Bergwerk mit seiner Symbolkraft ist den Papua ein Symbol fremder Dominanz – genauso wie jeder mehr oder weniger offen von einem freien Papua träumt. Den bewaffneten Kampf führt jedoch nur die OPM – schwach bewaffnet und wenig organisiert, im bergigen Dschungel teilweise gar mit Pfeil und Bogen. Im Umgang mit Rebellen und vor allem auch mit angeblichen Sympathisanten kennt Indonesien kein Pardon. Allein schon das Hissen der Morgensternflagge, des Symbols für ein freies Papua, gilt als Hochverrat und wird mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet; Zuwiderhandelnde sind zuweilen auf der Stelle erschossen worden, wenn gerade keine Beobachter in Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte zugegen waren.

Zum ersten Mal in der Geschichte hat Präsident Yudhoyono am 7. Juli – am Tag von Leuthards Staatsbesuch – einen politischen Gefangenen begnadigt. Yusak Pakage war 2004 wegen Fahnenhissens zu zehn Jahren Haft verurteilt worden und hat nun ein Begnadigungsgesuch gestellt. Diesen Schritt verweigern die meisten politischen Gefangenen jedoch, weil sie sich für unschuldig halten. Und das, obwohl die Haftbedingungen in Papua schlecht sind: Laut dem Anti-Folter-Komitee ist Folter an der Tagesordnung.

Auch dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten ist die Lage in Papua bekannt. Auf Anfrage teilt es mit, es verfolge «die Situation in Papua, wo es immer wieder zu politischen Spannungen kommt», aufmerksam. Indonesien habe in den letzten Jahren in der Akzeptanz und der Umsetzung der Menschenrechte Fortschritte erzielt. Trotzdem bleibe die Situation der Menschenrechte «weiterhin verbesserungsfähig – unter anderem in den Bereichen Gerichtswesen und Strafvollzug».

Die Autorin ist Redaktorin der Nachrichtenagentur SDA. Sie war 2006 ein Jahr für Peace Brigades International in Papuas Hauptstadt Jayapura im Einsatz.

O. I. ⋅ Papua ist die östlichste Region von Indonesien. Ehemals hiess sie Irian Jaya oder Westpapua und umfasst den westlichen Teil der Insel Neuguinea mit Papua-Neuguinea als unabhängigem Nachbarstaat. Die Region Papua ist 420 000 km 2 gross und grossteils bewaldet, mit Bergen mit bis zu 5000 Metern Höhe. 2,7 Millionen Einwohner. Jayapura ist die Hauptstadt. 1865–1962 als Niederländisch-Neuguinea niederländische Kolonie. 1961 erklärte eine Versammlung von Papua die Unabhängigkeit der Region und hisste die symbolträchtige Morgensternflagge. 1969 vertraute die Uno jedoch Papua 1963 der Verwaltung durch Indonesien an, das bereits 1949 unabhängig geworden war und das Recht auf die Nachfolge an der ehemals niederländischen Besitzung geltend machte. 1969 mit der manipulierten Act of Free Choice durch Indonesien einverleibt, unter Anerkennung der Uno. Bewaffneter Widerstand durch die Organisasi Papua Merdeka (OPM, Organisation Freies Papua) seit den sechziger Jahren.

Originalbericht: nzz.ch
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