Mit Brics und Mists die Welt begreifen


  “The west and the rest” war einmal: Goldman Sachs definiert mit Mexiko, Indonesien, Südkorea und Türkei eine neue Ländergruppe.

“Im Anfang war das Wort” (Johannes 1,1) weiß schon die Bibel. Denn erst wenn wir einen Begriff für etwas haben, nehmen wir es auch wahr. Und genau das passierte mit dem Begriff “Bric”, der die Länder Brasilien, Russland, Indien und China auf einen Nenner bringt. Erfunden wurden die Brics im Jahr 2001 von Jim O’Neill, dem Chef der Vermögensverwaltung bei der amerikanischen Investment-Bank Goldman Sachs. Er wollte mit seiner Wortneuschöpfung darauf aufmerksam machen, dass es eine Gruppe von vier Ländern gibt, deren Volkswirtschaften bald zu den größten der Welt zählen werden.

Klimaverhandlungen 2010 im mexikanischen Cancún. Das Gastgeberland hat Goldman Sachs zusammen mit Indonesien, Südkorea und der Türkei zur Ländergruppe Mist zusammengefasst. (Foto: UNFCCC) Fotoquelle: klimaretter.info
Klimaverhandlungen 2010 im mexikanischen Cancún. Das Gastgeberland hat Goldman Sachs zusammen mit Indonesien, Südkorea und der Türkei zur Ländergruppe Mist zusammengefasst. (Foto: UNFCCC) Fotoquelle: klimaretter.info

Und O’Neill hatte Erfolg: Firmen fokussierten ihre Wachstumsstrategien auf die Brics, Investoren investierten dort ihr Geld, westliche Politiker begannen die Brics zu umwerben, und diese beschlossen schließlich gar, Bric-Gipfeltreffen zu veranstalten. Der Begriff veränderte somit nicht nur die Wahrnehmung der Welt sondern auch die Welt selbst.

Und nun hat sich O’Neill einen neuen Begriff ausgedacht: “Mist”. Er fasst damit wieder vier Länder zusammen, die in seinen Augen besondere Aufmerksamkeit verdienen. Dies sind Mexiko, Indonesien, Südkorea und die Türkei. Die Voraussetzungen um als Mist-Land zu gelten, sind hohe Wachstumsraten dank steigender Produktivität und günstiger Demografie, funktionierende Kapitalmärkte und eine gewisse Größe. Die Mist-Länder haben alle einen Anteil von mehr als einem Prozent an der weltweiten Wirtschaftsleistung – mit steigender Tendenz.

Kurz: Wenn es nach Goldman Sachs geht, lässt sich die Welt in vier Gruppen unterteilen: Die westlichen Industriestaaten (USA, EU, Japan, Kanada, Australien), die Brics, die Mists und schließlich alle anderen Länder. Damit hat sich die Zahl der Ländergruppen seit der Jahrtausendwende verdoppelt: Damals gab es nur Industriestaaten und Entwicklungsländer oder knackiger “the west and the rest”.

Diese Ausdifferenzierung der bislang amorphen Masse der Entwicklungsländer ist aber nicht nur ein Spiel mit Begriffen, sondern spiegelt die Herausbildung einer multipolaren Weltordnung wieder. Besonders deutlich hat sich das während der Wirtschaftskrise gezeigt: Die G8 waren nicht mehr in der Lage die Krise ohne den “Rest” zu bewältigen und so wurden die G20 aus der Taufe gehoben, der sowohl die Brics als auch die Mists angehören. Umgekehrt gibt es nach wie vor Organisationen, in denen sich weiterhin Industriestaaten und Entwicklungsländer gegenüberstehen.

Insbesondere die UN-Klimaverhandlungen werden dadurch erschwert, dass zwischen Ländern wie Mexiko und Madagaskar nicht unterschieden wird. Aber auch im Deutschen hinkt die sprachliche Entwicklung noch hinter den Veränderungen in der Welt her. Der einzige begriffliche Neuzugang sind hier die “Schwellenländer”. Im Gegensatz zu den Brics und Mists von Goldman Sachs ist dabei aber nicht klar, welche Länder zu den Schwellenländern gehören.

Land Bevölkerung BIP 2010 (nominal) Pro-Kopf-Einkommen* Wachstum 2010
China 1 342 Mio. 5 745 Mia. $ 7 518 $ 10.1%
Indien 1 194 Mio. 1 430 Mia. $ 3 290 $ 8.3%
Brasilien 191 Mio. 2 023 Mia. $ 11 289 $ 7.5%
Russland 142 Mio. 1 476 Mia. $ 15 807 $ 3.8%
Indonesien 238 Mio. 695 Mia. $ 4 380 $ 6.0%
Mexiko 112 Mio. 1 004 Mia. $ 14 266 $ 5.0%
Türkei 74 Mio. 729 Mia. $ 13 392 $ 7.3%
Südkorea 49 Mio. 986 Mia. $ 29 791 $ 6.1

Überblick der BRIC und MIST Staaten. *kaufkraftbereinigt. (Quellen: Wikipedia / IWF / CIA World Factbook, klimaretter.info)

Diese Unschärfe birgt zumindet die Gefahr, dass im deutschen Sprachraum die aktuellen Veränderungen in der Weltwirtschaft und Weltordnung nicht gebührend zur Kenntnis genommen werden. So geht die britische Bank Standard Chartered davon aus, dass in zehn Jahren die Rangliste der größten Volkswirtschaften wie folgt aussieht: 1. China, 2. USA, 3. Indien, 4. Japan und 5. Brasilien. China überholt also die USA bis 2020 und Deutschland und Frankreich fallen aus den Top-Fünf heraus. Und bis 2030 verschwindet dann auch Japan aus dieser Liste und wird durch Indonesien ersetzt.

Spätestens dann wird wohl niemand mehr von “Entwicklungsländern” und “Industriestaaten” reden. Wie die Länder der Welt dann gruppiert und bezeichnet werden, lässt sich noch nicht absehen. Mag sein, dass sich mit den Brics und Mists zumindest die Konturen der künftigen Realität aber bereits ertasten lassen.

Originalbericht: klimaretter.info
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